SELBSTVERSTÄNDNIS UNSERES CORPS
Unser Corps ist seit einer Reihe von Jahren lediglich ein Altherrenverband, ist aber selbstverständlich immer noch auf Studierende ausgerichtet. Unsere Lebensweise kann nicht leicht in Worte gefasst werden, nicht in kurze Antworten auf präzise Fragen. Corpsstudententum muss erlebt werden. Nachstehend der Versuch einer Formulierung.
UNSERE WELTANSCHAUUNG
Im Zentrum unserer Weltanschauung steht der Gedanke der Toleranz, die wir nicht im etymologischen Sinn verstehen, also nicht das Ertragen (tolerare) von Andersdenkenden, sondern das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Standpunkte. Wir nehmen Mitglieder mit jedem Religionsbekenntnis, jeder Rasse, jeder Nationalität und jeder politischen Anschauung auf, sofern im Rahmen demokratischer Spielregeln agiert wird.
Wir sind der Überzeugung, dass Religion Privatsache jedes einzelnen ist. In unserem Corps gab es zu keiner Zeit einen ungeschriebenen oder gar statutenmäßigen Arierparagrafen. Das Wiener akademische Corps Marchia als solches identifiziert sich mit keiner der existierenden politischen Parteien oder ihrem Programm. Die Zugehörigkeit zu einer Partei, die unseren Staat und seine Staatsform und die Demokratie bejaht, steht jedem Mitglied unserer Verbindung frei. Die unterschiedlichen Ansichten in unseren Reihen führen laufend zu Diskussionen, die aber noch niemals unsere Corpsbrüderlichkeit beeinträchtigt haben.
MENSCHENRECHTE
Wir fühlen uns als liberal, wenn auch nicht im Sinne der in der Politik oftmals verwendeten Leerformeln. Für uns liegt die liberale Weltanschauung in der positiven Bewertung des einzelnen Menschen, des Individuums, das von uns als selbstständig, autonom und wesentlich angesehen wird. Die Menschenrechte, die aus der Geisteshaltung der Aufklärung stammen, erkennen wir nicht nur an, sondern jeder von uns ist bemüht, ihnen in seinem eigenen Lebensbereich Geltung zu verschaffen.
VATERLAND UND LANDESVERTEIDIGUNG
Wir bekennen uns zum österreichischen Staat und seiner Staatsnation. Unser Corps tritt für ein freies und unabhängiges Österreich ein und will seine Mitglieder zur Mitarbeit und Mitverantwortung in unserem Vaterland anleiten. Wir kennen keine nationale Beschränkung, somit auch keine Ablehnung ausländischer Studenten, woher sie auch immer kommen. Darüber hinaus ist es die Sache jedes einzelnen Corpsbruders, zu welchem Volk und zu welcher Kulturgemeinschaft er sich bekennt.
Grundsätzlich lehnen wir die gewaltsame Austragung zwischenstaatlicher Konflikte ab, halten aber die Landesverteidigung in einer gewaltsamen Welt für notwendig. Trotzdem muss die Entscheidung für den Dienst mit der Waffe oder den Zivildienst der individuellen Entscheidung des Einzelnen überlassen bleiben.
COULEURERZIEHUNG
Die Corpsbrüderlichkeit halten wir für den wesentlichen Inhalt des Corpsverbandes. Sie beruht auf gegenseitiger Hilfsbereitschaft und mündet in einer echten Lebensfreundschaft zwischen den Corpbrüdern. Wir beeinflussen unsere Mitglieder auch nicht in wissenschaftlicher Hinsicht, versuchen aber, sie bei der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen. Sie sollen sich zu aufrechten und charakterfesten Männern entwickeln, die bereit sind, für ihre Meinung einzustehen.
Wir treten für eine aktive, gestaltende Lebenshaltung ein im Gegensatz zu der vielfach üblichen passiven Konsumgesinnung. In diesem Sinn verstehen wir uns bewusst als Elite, allerdings nicht im Sinne einer privilegierten Oberschicht sondern als Kreis besonders verantwortlicher und verantwortungsbewusster Menschen. Auch der Standpunkt der Ehre muss in diesem Sinn verstanden werden, nicht als starrer äußerlicher Ehrenkodex sondern als subjektiv beurteilbare innere Haltung.
Der Hochschule, dem Studium und der Vorbereitung auf das spätere Berufsleben, räumen wir größte Bedeutung ein, wir fördern das Studium unserer Aktiven nach Kräften. Das Corps ist daran interessiert, dass ihre Mitglieder möglichst rasch den Abschluss ihrer Ausbildung erzielen. Die Aktivitäten im Corps sind bestimmt durch das Zusammenwirken von Spiel und Ernst. Viele spielerische Handlungen dienen letztlich der Übung für den „Ernstfall“. Die Leitung einer Kneipe bereitet auch für die Leitung einer Sitzung vor, ein sogenannter „Bierschwefel“ ist Training für eine Stegreifrede.
COMMENT – COULEURSTUDENTISCHE REGELN
Der Comment, die Benehmensregeln des Couleurstudenten, ordnet unser Zusammenleben, der Trink- oder Biercomment organisiert unser geselliges Beisammensein und dient eher dazu, das Trinken in geregelte Bahnen zu lenken als der sinnlosen Steigerung des Alkoholkonsums.
Wir tragen Farben, weil wir unsere Zusammengehörigkeit auch durch ein äußeres Zeichen dokumentieren und die Tradition des Farbenstudententums weiterführen wollen. Gegenüber dem Corps und dessen in demokratischer Weise zustande gekommenen Entscheidungen verlangen wir von unseren Mitgliedern Disziplin. Von den Aktiven verlangen wir die Teilnahme an allen Corpsveranstaltungen.
TRADITION UND FORTSCHRITT
Wir glauben, dass Fortschritt nur unter Berücksichtigung traditioneller Werte zu sinnvollem Neuen führt und stehen der Tradition insofern positiv gegenüber. Vor dem 2. Weltkrieg gab es im Corps sowohl die Mensur als auch Säbelpartien, beides gehört deshalb zu unserer Tradition. Nach dem Krieg wurden im Corps nach 1948 einige Mensuren und 1957 lediglich eine Mensur gefochten, die Pflicht- oder Verabredungsmensur wurde inzwischen abgeschafft.